Pflegenotstandsblase

Der akustisch raffinierteste und zugleich düsterste Ort in einem Seniorenheim ist die Pflegenotstandsblase. Jede ausgesprochene, ausgeseufzte und ausgejammerte Verzweiflung über die Arbeitsverhältnisse wird wie ein Echo verstärkt und verteilt. Sie geht über die Kollegen auf Bewohner über und macht aus dem Heim  einen Vorort des Tartaros. 

Nicht das Jammer und Geseufze unangebracht wären. Das sind sie. Deutschland zeichnet sich als ein Land mit begrenztem Mitgefühl für Pflegebedürftige und -personal aus. Und auf mittlere Sicht wird sich das nicht ändern. 

Pflege ist auf Kante genäht, finanziell, politisch, aber vor allem in Hinsicht auf den Rückhalt in der Bevölkerung; man kann wohl kaum von seinem Volksvertreter  politische Lösungen erwarten, wenn man sich gleichzeitig entrüstet, so viel Kohle für einen Pflegeheimplatz abdrücken zu müssen. Pflege und Begleitung von Senioren, insbesondere hochaltriger kostet nun mal, weil sie ein äußerst hohes Maß an Professionalität bedürfen. Wer nur Twingo bezahlen will, darf keinen Maserati erwarten. 

Es ist diese Dissonanz, die den Pflegenotstand schafft. Wenn sie sich nun aber in den Kolleginnen und Kollegen selbst vervielfacht, dann wird’s im Herzen richtig eng. Was sehr, sehr schade ist, denn ich habe meine Kollegen und Kolleginnen als Menschen, die für Mitmenschlichkeit einstehen, kennengelernt. Jener Mitmenschlichkeit, die aus einem Seniorenheim einen Ort der Wertschätzung und Güte macht. Einem guten Ort, keinen äußeren Ring des Infernos.

Das tückische an der Pflegenotstandsblase ist, dass sie einen von dieser Mitmenschlichkeit abschirmt und die Trübsal über die Verhältnisse verstärkt. Letztlich ist sie eine Fortsetzung jener Dissonanz, eine Selbstentwertung, die der Twingo-Maserati-Mentalität nicht nur zustimmt, sondern ihr Recht gibt. 

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Bild: pixabay tensionart

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