Frau T. nimmt sich die Sache zu Herzen

Frau T., 87, nimmt sich die Sache zu Herzen. Sie ist im Seniorenheim, weil sie körperlich  nicht mehr die Kraft hatte, sich in ihrem Haushalt zu versorgen. In Kopf und Herzen ist sie klar und gegenwärtig. Die Gegenwart macht ihr zu schaffen.

Die persönliche: Sie sieht Menschen im gleichen Alter wie sie selbst. Allerdings in einer Verfassung, die uns Jüngere zu sagen veranlasst, niemals so enden zu wollen, wie einer von diesen Alten. Frau T. ist eine solche Alte. 

Die aktuelle: Es ist nicht so, dass Menschen über 80, nur weil der Gebrauch des Seniorenhandys das Maximum technischer Fähigkeiten darstellt, nichts mehr mitbekommen. Frau T. ist auf dem neuesten Stand. „Und jetzt noch dieser furchtbare Krieg in Israel …“, sagt sie voller Kummer. Ihr Kummer ist noch mal ein anderer als der meine. Denn sie kennt Krieg als jemand, der ihm ausgesetzt war. In ihrer Erinnerung muss sie nicht weit gehen, um ihre eigenen Trümmer und Toten vor Augen zu haben. Die  mörderische Boshaftigkeit, die die Menschen in Gaza, Cherson, Herat, Tel Aviv antreibt und vor sich her treibt, kennt sie aus eigener Anschauung. All das ist in dem unvollendeten Satz „Und jetzt noch dieser furchtbare Krieg …“ ausgesprochen. Über die Unvollendung kommt man nicht hinaus. Die Begabung zu Empathie und Mitmenschlichkeit wird zum Risikofaktor, Depressionen zu entwickeln. So will man nicht enden!

Aber angenommen, dass jetzt die Zeit ist für Herz, Kummer und Mitgefühl? Dass diese drei etwas in einem  (so wie bei Frau T.) wachhalten. Und was wäre denn die Alternative? Eine algorithmusgesteuerte Menschlichkeit, die wahlweise  angeknippst oder von Empörung und Tiraden ersetzt wird. Wollte man so enden? 

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Bild: gaza by hosnysalah

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