Duracellhase

Duracellhase

Frau G. sitzt in ihrem Rollstuhl und stößt wie der Duracellhase in einem fort gegen die Wand. Sie jammert, schimpft. Wo sie denn hin soll, fragt sie und dass das alles ein Scheissdreck sei und dass sie  nicht mehr kann. Sie jammert und schimpft, auch nachdem sie aus ihrer Misere befreit und der Flur ihr wieder offen steht. Ein paar Meter weiter bleibt sie abermals hängen, weil sie den Rollstuhl zwar bewegen, aber nicht mehr steuern kann.

Das Gefühl, das etwas nicht stimmt

Dieses skurrile, irgendwie hoffnungslose Treiben bekommt einen Sinn, wenn man es mit Frau G.s  Grundsatzfrage, wo sie denn hin soll, in Verbindung bringt. Sie hat Demenz. Die Bezüge gehen allmählich verloren. Die Anknüpfungspunkte der inneren Wirklichkeit mit der äußeren nehmen mehr und mehr ab. Demenzkranke erfahren das am Anfang  noch bewusst.  Sie verdrängen aber die zunehmende Vergesslichkeit, indem sie Leute finden, die Schuld dran sind, dass man den Schlüssel verloren hat. Im Lauf der Zeit werden die Erklärungsstrategien allerdings immer weniger. Beziehungsweise sie werden, was Außenstehenden skurril erscheint, immer gröber, unflexibler und unpassender. Demenzkranke erkennen Menschen ihrer Vergangenheit  in Personen der Gegenwart. Weil man sich an die verstorbene Tochter noch erinnern kann, aber nicht mehr an das Enkelkind, wird das Kind mit dem Namen der Mutter angesprochen.

Während das Gedächtnis schwindet, bleibt die Emotion bestehen. Und mit ihm das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Auch wenn Frau G. nicht mehr sagen kann, was das ist, das da nicht stimmt, fühlt sie sehr genau, dass ihr die Wirklichkeit entglitten ist. Das treibt sie um, nur weiß sie nicht wohin. Und das sagt sie auch. Dann bleibt sie wieder am Handlauf hängen und der Scheissdreck beginnt von vorn. Manchmal, wenn die Verzweiflung übermächtig, schreit sie ihrer Oma.

Frieden finden 

Naomi Feil war der Überzeugung, dass man demenzkranken Menschen die Möglichkeit geben soll, eine innere Richtung zu finden, indem man ihnen in ihren Konflikten begegnet und sie aus der Duracellhase-Situation befreit. Manchmal gelingt das. Oft aber sind – gerade bei der Generation der Kriegskinder – die Konflikte, um nicht zu sagen Tragödien so tief und alt, dass sie für niemanden mehr zu erreichen sind. Es ist schwer, das auszuhalten und ich vermute, das ist der Grund, warum man das Altern generell ablehnt. Sich in einer Situation vorzufinden und keinen Frieden mit ihr schließen zu können, weil einen die geistigen und seelischen Kräfte verlassen haben, das ist eine schlimme Vorstellung.  

„Ich kann nicht mehr“, klagt Frau G. Das ist ihr Mantra. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist, gegen eine Wand zu fahren und zu schimpfen, teilt sie das der Welt mit. Vielleicht gibt sie sich irgendwann einmal die Erlaubnis, nicht mehr  können zu dürfen. Dann findet sie vielleicht Frieden. Man darf nämlich aufhören. Es ist in Ordnung. 

Bild: Pixabay

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