Wo der Geist weht

Ausdrucksformen des Glaubens

Als Charles Dickens 1842 die Vereinigten Staaten besuchte, hatte er eine Begegnung der kuriosen Art. Die „Schüttler“ waren eine Gruppe Glaubender, die ihre Hingabe zu Gott auf merkwürdige Weise ausdrückten, nämlich durch Tanzgebete. Dickens war in der Kirche von England aufgewachsen und konnte mit dieser Ausdrucksfom des Glaubens nichts anfangen. Er brachte kaum mehr als Spott dafür auf. Der ‚Schütteltanz‘ der Shaker ist tatsächlich einzigartig. Es ist ein choreographierter Anbetungstanz, bei dem sich Männer und Frauen gegenüberstehen. Das Schütteln, das der Glaubensgruppe ihren Namen gab, wurde als Tanzgestus behalten, ging aber ursprünglich auf ein ekstatisches Schütteln des Körpers zurück, wenn der Geist über den Glaubenden kam. Der konventionelle anglikanische Christ Dickens konnte dem nichts abgewinnen Nichts desto trotz ist ein Shaker-Choral zu einem modernen Kirchenlied geworden, „Ich tanzte im Himmel, als die Welt begann“. Am durchgängigen 2/2-Takt erkennt man gut den Tanzrhythmus.

Das Beispiel von Dickens zeigt, wie eigene Glaubensgewohnheiten direkten Einfluss auf Sicht und Beurteilung anderer Glaubensformen haben. Es lohnt sich indes, einen Augenblick Abstand von der eigenen Sichtweise zu nehmen, um einen Blick auf die große Vielfalt des Glaubens zu gewinnen.

Alles für den Herrn – Fahnen und Pinsel schwingen

Eine andere, moderne Form des Glaubenstanzes ist der Flaggentanz. Hier begleiten die – zumeist – Tänzerinnen in der Lobpreiszeit die Lieder mit Tanz. Dabei verwenden sie als Verstärkung des Ausdrucks Tanzflaggen. Entscheidend beim Flaggentanz ist, dass er keiner strengen Choreographie folgt wie bei den Shakern. Die Bewegungen sind spontan und fließend. Weil es dabei um Spontanität und Improvisation geht, wird er besonders in charismatischen und Pfingstgemeinden gepflegt. Der Flaggentanz hat ein biblisches Vorbild. Barbara Lorenz schreibt in der Zeitschrift Charisma, dass er im AT Teil des Gottesdienstes gewesen ist. Das berühmteste Beispiel ist der Tanz Davids vor der Bundeslade (2. Samuel 6,14). Eine weitere Form des Glaubens ist das prophetische Malen. Prophetisch meint hier eine tiefe, inspirierende Gotteserfahrung, die in Farbe und Leinwand ausgedrückt wird. Wie beim Flaggentanz folgen die Künstler keinem festen Sujet oder einer speziellen Bildsprache. Die inneren Bildern ihrer Begegnung mit Gott stehen im Zentrum. „Diese tiefe Gotteserkenntnis“, so die prophetische Malerin Linde Hals, „erfüllt nicht alleine die Person, die malt, sondern sie breitet sich in der Gottesdienstversammlung aus.“ Ebenfalls diese Kunstform ist in charismatischen und pfingstlerisch geprägten Gemeinden verbreitet.

Die Wiederentdeckung des Lobpreis

Spricht man von besonderen Ausdrucksformen des Glaubens, wird man an der Wiederentdeckung des Lobpreis (abermals) durch die charismatische Bewegung nicht vorbeikommen. Wiederentdeckung deshalb, weil Lobpreis natürlich immer Bestandteil des Gottesdienstes gewesen ist, sowohl des Alten wie des Neuen Bundesvolk. Eines der ältesten christlichen Lieder ist ein Lobpreis, der Christushymnus (Philipper 2,5-11). Lobpreis oder Doxologie ist ferner der Mittelpunkt der ostkirchlichen Liturgie. Der orthodoxe Lobpreis ist von unvergleichlicher Schönheit.

Die moderne, westliche Variante jedoch verwendet keine altkirchlichen Hymnen, sondern neue geistliche Lieder. Entstanden ist sie in den späten 70er Jahren in den USA, weshalb die englische Bezeichnung ‚worship‘ gängiges Synonym ist für Lobpreis und Anbetung. Auch die meisten Anbetungslieder sind englisch und werden englisch gesungen. Worship bildet den Rahmen für Flaggentanz und prophetische Malerei. Alle kreativen Elemente sollen dem Wirken des Heiligen Geistes Raum geben. Gerade bei jüngeren Menschen erfreut sich der Lobpreis großer Beliebtheit. Er ist ihrem Lebensgefühl viel näher als die kirchlichen Liturgien mit ihren Chorälen.

Brücken schlagen

Doch mittlerweile gibt es auch musikalische Versuche, Brücken zwischen Worship und traditionellem Liedgut zu schlagen. Mit dem Liederschatz-Projekt produzierte der Lobpreis-Musiker Albert Frey gemeinsam mit Lothar Kosse eine sehr gut hörbare Verbindung zwischen altem und neuem.

Fortsetzung in Schwarmgeist – God’s own land

im veröffentlicht im ev. Gemeindeblatt für Württemberg 10/22

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