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Sie hätten auch lieber etwas anderes gemacht – die Propheten

Sie ist die Geistesgabe schlechthin, die populärste, ursprünglichste und mit Abstand die umstrittenste unter den Charismen: Die Prophetie.  Schon allein deshalb umstritten, weil die meisten Propheten auch lieber etwas anderes gemacht hätten, als zu prophezeien. Amos etwa, der darauf hinwies, hauptberuflich eigentlich Feigenzüchter zu sein. Oder Jona, der, als er von Gott zum Propheten beauftragt wurde, flugs in die andere Richtung davonlief. Auch Jesus von Nazareth resümierte, nachdem er vergeblich in seiner Vaterstadt aufgetreten war, dass der Prophet nirgends weniger zählt als in der Heimat (Markus 6,4). Lag dies am häufig betrüblichen, mithin bedrohlichen Inhalt der Vorhersagen?

Es geht nicht um Zukunftsaussagen

Tatsächlich hat das biblische Verständnis von „prophezeien“ kaum etwas mit Zukunftsschau zu tun, auch wenn das Wort dies nahezulegen scheint. Ein ‚prophetes‘ ist nicht einer, der das Kommende voraussagt, sondern der- bzw. diejenige, so kann man die Silbe ‚pro‘ ebenfalls übersetzen, die für Gott spricht. ‚Mittler‘, dies ist die Grundbedeutung des hebräischen Wortes ‚Nabi‘, das im Griechischen mit ‚Prophet‘ übersetzt wurde. Wer prophezeit teilt mit, wie Gott die Sache sieht. Und da die göttliche und menschliche Sicht der Dinge meist nicht übereinstimmen, hatten die Propheten selten Freude an ihrem Beruf.

Nicht so vorgesehen – Propheten an der Spitze der Heiligenhierarchie

Und doch steht die Prophetie im Ranking der Charismen ganz oben, warum ist das so? Das liegt zum einen darin, dass Prophetinnen und Propheten eine tragende Rolle in der Geschichte Israels einnahmen; immerhin ist ihnen eine ganzer Buchteil des Alten Testaments gewidmet, die Prophetenbücher oder ‚Nebiim‘. Sie standen als Mittler des Willen Gottes Israel, seinen Königen und Priestern gegenüber. Sie mahnten, trösteten und ermutigten sie. Kurz, sie nahmen eine eigenständige Position unabhängig vom politischem oder Volkeswillen ein. Sie standen für Gott ein.

Dies Für-Gott-Einstehen, sich seinem Wort ganz öffnen war diejenige Glaubenshaltung, die für Paulus die erste Priorität einnahm: „Strebt nach der Liebe!“, schreibt er den Korinthern. „Bemüht euch um die Gaben des Geistes, aber am meisten darum, dass ihr prophetisch redet.“ (1. Korinther 14,1). Mit dramatischer Offenbarungsekstase hatte der Apostel allerdings nicht viel am Hut. Mystische Erfahrungen waren ihm zwar nicht fremd, doch eher Ausdruck der persönlichen Beziehung zwischen Gott und Mensch. In der Gemeinde standen Prophetinnen und Propheten nie für sich alleine. Es ist die Gemeinde, die die Prophetie prüft, der Prophet kann sich nicht selbst prüfen; das übrigens galt ebenfalls für das Charisma der Zungenrede.

Wohl durch den Einfluss der Apokalypse erhielten die Propheten jene herausragende Stellung, die noch heute charakteristisch ist für jene, die sich – ob religiös oder weltlich – prophetische Autorität zusprechen. Der Offenbarer Johannes betont die Rolle der Propheten in der Zahl der Heiligen, da sie ein unmittelbares Verhältnis zu Gott haben. Ferner rückten die prophetischen Aussagen über die Zukunft der Welt in den Mittelpunkt, weil dies der endzeitlichen Ausrichtung der Offenbarung entsprach.

Augen auf bei der Berufswahl

Doch eben dies, die Charakteristika der Gottesnähe und der Einzigartigkeit der prophetischen Autorität haben sich heute durchgesetzt, besonders in Kirchen und Gemeinden, die enthusiastisch geprägt oder streng biblisch ausgerichtet sind. Warum? Die Antwort ist simpel: Es ist einfach zu unwiderstehlich, sich als Prophet zu gerieren, wenn man so manipulieren kann. Manipulation indes gehört nicht zur Jobbeschreibung. Genaugenommen zeichnet sie das Gegenteil aus, die falsche Prophetie und die kommt  in der Bibel gar nicht gut weg. Augen auf bei der Berufswahl!

Fortsetzung im Artikel Tanzen für den Herrn

veröffentlicht im ev. Gemeindeblatt für Württemberg 9/22

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