Viele der in den letzten Jahren erfolgreichen Fantasy-Romane haben im Grunde dasselbe Thema. His Dark Materials von Philip Pullman, Die Bartimäus-Trillogy von Jonathan Strout, Mortal Engines von Phil Reeve – sie alle beschäftigen sich mit Imperialismus, mit den geschichtlichen Wurzeln dessen, was heute die verheerendsten Verwerfungen weltweit hervorbringt. Ob China, Russland, Sudan, Afghanistan – immer geht es um das brutale Erbe des Kolonialismus.
R.F. Kuangs Roman Babel versetzt uns ins Mutterland des Imperialismus, nach England. In einer viktorianischen Parallelwelt reist der junge Chinese Robin Swift von seiner Geburtsstadt Kanton nach London, damit dort, beim Namen angefangen, ein richtiger Engländer aus ihm gemacht wird. Sein Vormund, der Philologe Richard Lovell will sich Robins bemerkenswertes Sprachentalent zunutze machen, um ihn am Oxforder Spracheninstitut Babel zum Sprachen-Silberschmied ausbilden zu lassen.
Denn Groß-Britanniens führende Stellung in der Welt verdankt sich der Kenntnis der Sprachenmagie. Mithilfe von Silberbarren, in die man Worte unterschiedlichster Sprachen graviert, kann man Krankheiten heilen, Technik beschleunigen und in Waffen Zerstörungskraft freisetzen, der niemand widersteht. Alles im Dienste von Königin und Empire.
Schon früh erkennt Robin die tiefe Verachtung Englands für Angehörige unterlegener Länder, selbst wenn diese älteren Zivilisationen und großen Kulturen entstammen. Besonders große Abscheu bringt man seinem Freund Rami entgegen, der, aus Kolkata stammend, seiner dunklen Hautfarbe wegen die ursprünglich Herkunft nicht verbergen kann.
Dann aber trifft Robin auf Griffin Lovell. Griffin gehört einem Geheimbund an, der das Monopol des britischen Silbers unterwandert, indem er es aus den Beständen Babels stiehlt. Die Hermes-Society behauptet, auf diese Weise die Macht des Empires zu schwächen und versucht Robin zu einem der ihren zu machen. Doch wem kann er in dieser, von unmenschlichem Pragmatismus und tückischer Machtgier bestimmten Welt vertrauen?
Babel ist bestechend. Es ist gelehrt, spannend, vielschichtig und in seiner Aktualität geht es einem unter die Haut. Es ist ein Beweis, dass Jugendliteratur hellsichtig die politischen Verhältnisse kommentiert. Und deshalb auch, ja gerade für erwachsene Leser sehr zu empfehlen ist.