
Der Ausdruck “savoir-vivre” ist in dem Landstrich, in dem ich lebe genau das, was es ist: Ein Fremdwort. Zu „leben wissen“ ist eine Kenntnis, dem nachzuspüren man hier wenig Ehrgeiz aufbringt. Man zieht dem Savoir-vivre, dem erfüllten Augenblick das Streben nach Effizienz vor.
Ich frage mich, ob dieser Takt der Tüchtigkeit eben das widerspiegelt, für das dieser Landstrich – und das sage ich mit ehrlicher Hochachtung – so berühmt ist: seine technische Meisterschaft, seine ingenieurische Genialität. Daimler, Porsche, Bosch, würde ein Pharao heute eine Pyramide in Auftrag geben, würde er dies die Spezialisten aus Schwaben vollbringen lassen.
“Die kälteren Länder haben von den geistigen Schöpfungen der anderen gelebt und gezehrt und was sie original hervorbrachten, die Technik, dient im Grund nicht dem Geist, sondern den materiellen Lebensbedürfnissen. Ob es uns nicht aus diesem Grunde auch immer wieder in die heißen Länder zieht?”, fragte Dietrich Bonhoeffer, gleichzeitig ein hartes Urteil über jenes einbeinige technische Fortschreiten fällend. Die Seele nährt sich von von Schrauben und Dübeln.
Dabei kann was geistige Schöpferkraft betrifft, gerade dieser südwestliche Landstrich, vielleicht nicht aktuell, doch zumindest im Blick auf vergangene Geistestäter eine ganze Menge vorweisen. Viele Dichterinnen und Denker sprachen schwäbisch. Mehr als das: Gerade der berühmteste Schwabe, nämlich Schiller warnte bereits seinerzeit vorm Allzu-Effektiven. „Der Nutzen ist das Idol der Zeit, dem alle Kräfte frönen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser groben Waage hat das geistige Verdienst kein Gewicht.“
Trotzdem finde ich Bonhoeffers Urteil über die kalten Länder zu hart. Dass er sich so äußerte, liegt wohl am Zeitpunkt seiner Äußerung. Bonhoeffer spricht vor allem von seiner eigenen, kalten Heimat, Deutschland. Er war sich gewahr, dass man hierzulande über Effektivität alles weiß, vom Leben nichts. Bonhoeffers Zeilen bezeichnen so etwas wie einen nihilistischen point-of-no-return. Im Deutschland des Jahres 1944 lag alles Menschlich zurück, allein das technisch Machbare zählte (mit all seiner infernalischen Grausamkeit); vielleicht prägt uns diese Ausrichtung bis heute. Auf der anderen Seite sollte man die Prägekraft dieser Ausrichtung nicht überschätzen. Es ist keine Schicksalsmacht, man kann sich ja entscheiden. Denn es ist keineswegs so, liebe, verehrte Ländsleute dass, vor die Wahl zwischen technischem Fortschritt und Savoir-vivre gestellt, die Antwort immer nur „Bosch“ heißen müsste.