Konfuzius und die Tradition der Badehandtuchherstellung

Ein Handtuchhersteller wirbt bei den Käufern von Badezimmerartikeln für sein Produkt mit dem Argument, dass er über eine lange Erfahrung in Bezug auf Handtuchproduktion verfügt. Wer sich also für ein Handtuch dieser Marke entscheidet, hat sich für ein Traditionsprodukt entschieden, für eine vertrauenswürdige Marke, für Leute, die ihr Handwerk verstehen. Der Erfahrungsreichtum jenes Herstellers reicht nämlich bereits bis ins Jahr 1977 zurück, auf einen Traditionsschatz von 45 gewichtigen Jahre.

Nun mag es unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten tatsächlich sein, dass ein Unternehmen, das sich 45 Jahre im Markt hält, schon als traditionell bezeichnet werden kann. Umgekehrt bedeutet es allerdings auch, dass es möglich ist, „Tradition“ heutzutage als Zeitspanne zu definieren, die ein wenig mehr als ein halbes Lebensalter beträgt; nicht eben viel, angesichts von Papierherstellung, Buchdruck und Reinheitsgebot. Die zeitgemäße Definition von „Tradition“ kollidiert mit der ursprünglichen Bedeutung des Wortes. „Traditio“ heißt „Übergabe“, genauer die Übergabe von Erfahrungen, Werten und Fertigkeiten von einer Generation auf die andere. Die Zeitspanne von 45 Jahren bereits als Tradition zu betrachten, ist so als würde man Demenz als normales Erinnerungsvermögen bezeichnen.

Im Blick auf die kulturelle Gedächtnisfähigkeit haben die Altvorderen indes eine komplett andere Auffassung. Für den chinesischen Philosophen Konfuzius, der bis heute das Denken im gesamten fernöstlichen Raum beeinflusst, stellte die Tradition etwas so Essentielles dar, dass er sein ganzes Weltbild darauf aufbaute. Er behauptete sogar von sich, er bringe gar nichts Neues hervor, sondern fasse nur das Alte zusammen.

Auch für das abendländische Denken nimmt Tradition eine zentrale Rolle ein. Renaissance und Reformation, die Epochen, die den Beginn der Neuzeit markieren, greifen auf die griechisch-römische Antike und die Bibel zurück. Dabei hat Tradition hier nichts mit Zurückgewandtheit oder Reaktionismus zu tun. Im Gegenteil: Selbst diejenigen, die Traditionen in Frage stellten oder sich von ihnen lösen, wie etwa Macchiavelli, erwiesen sich als hervorragende Kenner derselben.

Die Beliebigkeit, mit der die Badehandtuchbranche das Wort Tradition einsetzt, mag einen zum Lachen bringen. Es gibt aber auch eine ernste Seite: Radikale nationalistische Ideologen behaupten, dass sie es seien, die für die Traditionen ihres Volkes und seiner Kultur einstünden. Dass sie allein deren Wert verstanden hätten und sie gegen alle Angriffe verteidigten. Sie nutzen dabei, dass der Traditionsbegriff entkernt ist und füllen diesen leeren Gedächtnisraum mit der eigenen Weltanschauung. Wladimir Putin ist ein Meister seines Fachs. Selbst seine krudesten historischen Hypothesen stehen plötzlich für Russentum, Tradition und die russische Nation – wer auch immer das sein soll.

Ein gemeinsames Merkmal aller Nationalisten ist, dass sie Geschichte als Waffe und Tradition als Munition benutzen. Deshalb: Augen auf, wenn jemand deutsche Werte, polnische Identität, französische Größe und britisches Selbstbewusstsein verspricht. Wenn solche Behauptungen verfangen, kann man, national gesehen, gleich das Handtuch werfen.

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