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Sie ist die jüngste Kirchenfamilie und  diejenige, die sich am dynamischsten entwickelt – die Pfingstkirche.

In den einen bewirkt die Pfingstkirche Begeisterung für den Glauben. Andere erfüllt eben dieser Enthusiasmus mit deutlichem Befremden.  Letztere mögen hartnäckig behaupten, die Pfingstkirchen seien eine Kuriosität am Rande des christlichen Spektrums, tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Während die traditionellen Konfessionen allmählich an Bedeutung verlieren, gehört „(E)twa ein Viertel der weltweiten Christenheit … bereits pfingstlichen oder charismatischen Gruppierungen an“, so die EKD-Orientierungshilfe zu Pfingstbewegung und Charismatisierung. Gerade deshalb ist es wichtig, sich mit ihrer Geschichte zu beschäftigen. Ihr nahe steht die charismatische Bewegung. Beide räumen den Geistesgaben, den Charismen größtmöglichen Glaubensraum ein und setzen mit Lobpreis und Anbetung gottesdienstliche Akzente jenseits von Gesangbuch und Orgel. Doch gibt es auch einen einen wesentlichen Unterschied: Die charismatische Bewegung versteht sich als Strömung innerhalb der Kirchen. Aus der Pfingstbewegung ging selbst eine Kirche hervor.

Die Geburt einer Kirche

Die Pfingstbewegung wurzelte sowohl in Amerika wie in Europa in der methodistischen Kirche. Im Mittelpunkt des Methodismus stand der konkrete, praktische, alltägliche Glaube. Diese Ausrichtung auf das im Glauben geführte Leben, die „Heiligung“ hatte der Methodismus vom deutschen Pietismus übernommen. Doch neben Frömmigkeit, Nächstenliebe und Evangelisation, den drei Bereichen, auf die sich methodistisches Christsein bezog, kam ein weiterer: Die unmittelbare Berührung durch den Heiligen Geist und die Begabung mit den Charismen. Biblisches Vorbild war die Ausgießung des Heiligen Geistes über die Gemeinde, wie sie in Apostelgeschichte 2 geschildert wird. Die pfingstliche Glaubensweise verbreitete sich in den USA mit großer Dynamik. Am 9. April 1906 entstand in Los Angeles nach einer Erweckung die erste Pfingstkirche.

Ebenfalls vermittelt durch methodistische Prediger gelangte die Pfingstbewegung über Norwegen und Großbritannien nach Deutschland. Hier allerdings, in einem Land mit jahrhundertealter Kirchengeschichte und dichtem konfessionellen Geflecht fasste sie schwerer Fuß. Die neue Erweckungsbewegung geriet bald in Konflikt mit dem Gnadauer Verband, einer Sammlung pietistisch geprägter Gemeinden, Kirchen und Gemeinschaften. Man teilte miteinander das evangelistische Anliegen, doch die Gnadauer waren überfordert mit den Ausdrucksformen pfingstlerischer Begeisterung. Als zu dieser Spiritualität auch noch eine allzu selbstbewusste, emotional geprägte Anspruchshaltung trat, kam es zum Zerwürfnis zwischen Pfingstbewegung und Gnadauer Gemeinschaftsverband.

Der Geist von unten

Der Pfingstgeist wurde brüsk als ‚Geist von unten‘ abgewiesen. Theologisch abgelehnt wurde das Bestehen auf die Taufe im Heiligen Geist und als deren Erweis die Begabung durch Zungenrede und Sprachengebet; ein Rückfall in korinthische Verhältnisse. Es brauchte Jahrzehnte, um nach dieser dröhnenden geistlichen Kollision wieder zusammenzukommen.

Aus dem Schatten heraustreten

Im Schatten dieses Konfliktes stand die charismatische Bewegung. Sie entwickelte sich in den 60er Jahren vergangenen Jahrhunderts sowohl in der katholischen Kirche, den evangelischen und den freikirchlichen Konfessionen. Sie ist eine Reaktion auf die „weitverbreitete Geistvergessenheit in Kirche, Theologie und Gesellschaft“ und bemerkt zu Recht, dass „(O)hne den Heiligen Geist … der Glaube anstrengend“ wird. Doch anders als die Pfingstkirchen versteht sich die charismatische Bewegung als Erneuerungs- und Inspirationsströmung innerhalb ihrer Kirche. Die Charismen bewertet sie als Dienstgaben. Das heißt sowohl die auffälligen, wie Sprachengebet, Heilungsgabe oder prophetisches Reden, wie auch die diakonischen Gaben werden „nicht höher bewertet als die Bibel es tut.“ (Jonathan Pauls) Es ist insbesondere für die charismatische Gemeinderneuerung in der evangelischen Kirche nie ganz einfach gewesen, aus dem Schatten dieses Konfliktes herauszutreten – es braucht lange Zeit, um Prägungen und vorgefasste Urteile zu überwinden. „Der Mensch kann sich Gott nur in der Sehnsucht nahen“, schrieb der Theologe Nicolaus Cusanus. Dieser Gedanke kann helfen, sich gegenseitig schätzen zu lernen. Denn Sehnsucht und Gottesnähe drückt sich auf vielfältige Weise aus und in vielfältigen Gaben.

Fortsetzung Artikel Wo der Geist weht – Stimmengewirr 

veröffentlicht im ev. Gemeindeblatt für Württemberg 9/22

 

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