
„(D)ie Suche nach Jesus ist unweigerlich von dem jeweiligen Menschen geprägt, der sie unternimmt“
schrieb der amerikanische Journalist Philip Yancey. In diesem einen Satz drückt er das Wesen der Mystik aus. Mystik ist persönliche Erfahrung. Wie sich die Suche nach Gott in ihrem Leben niederschlug, wird an den Biographien dieser vier modernen Mystikerinnen anschaulich:
Dag Hammarskjöld
„Erst im Menschen hat die schöpferische Entwicklung den Punkt erreicht, wo die Wirklichkeit sich selbst begegnet in Urteil und Wahl.“ Wer der Mensch ist und was er im Schlechtes wie Gutes hervorbringt, wusste kaum jemand besser zu beurteilen, als der schwedische UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld. Er stammte aus einer adligen, lutherisch geprägten Familie, deren Mitglieder im Staatsdienst oder als Diplomaten tätig waren. So auch Dag. Hammarskjöld starb 1961 während eines Flugzeugabsturzes, dessen Umstände nie vollständig geklärt wurden. Einen Freund bat er, falls er stürbe, eine Sammlung persönlicher Schriften herauszugeben. Dieser Herausgabe wurde mit großem Interesse entgegengesehen, erwartete man in ihnen Einsichten über die politische Weltlage aus erster Hand. Tatsächlich aber handelte es sich um Aufzeichnungen und Gedichte von großer christlicher Eindringlichkeit. Das „Weißbuch meiner Verhandlungen mit mir und mit Gott“, so Hammarskjöld. „Zeichen am Weg“ ist ein Lebensbuch, ein Klassiker der modernen mystischen Literatur.
Thomas Merton
Anders als Dag Hammarskjölds Leben verlief das des 10 Jahre jüngeren Thomas Merton zunächst recht turbulent. Er wurde in Frankreich als Sohn einer Amerikanerin und eines Neuseeländers geboren. Seine Mutter verstarb früh und durch das unstete Leben seines Vaters verbrachte Merton seine Kindheit an verschiedenen Orten. Eine besondere Beziehung hatte er zu seinem Großvater. Religiöse Neigungen verspürte er keine. Er verstand sich eher als Atheist. Als sein Großvater 1936 starb, warf ihn dies in eine Krise. Er begann sich für Katholizismus und Kontemplation zu öffnen. Schließlich trat er dem Trappistenorden bei. Immer arbeitete er schriftstellerisch. Seine Bücher, insbesondere „Keiner ist eine Insel“ und die Autobiographie „Der Berg der sieben Stufen“ zählen wie die „Zeichen am Weg“ zu den Klassiker. „Ein Leben ohne Erschütterung kann hoffnungsloser sein als eines, das ständig am Rand der Verzweiflung steht“, schreibt Merton in seiner Autobiographie. Es ist die Erfahrung eines Menschen, der beides kennt, Erschütterung und Hoffnung.
Edith Stein
Die Karmeliterin Teresia Benedicta a Cruce, geboren als Edith Stein ist eine tragische Zeugin der tiefen Gottferne von Nationalismus und Diktatur. Edith Stein kam 1891 in Breslau zur Welt. Ursprünglich orthodoxe Jüdin, kam sie im Laufe des Lebens, insbesondere durch die Lektüre der Autobiographie Teresa von Avilas zum Christentum. Schließlich wurde sie Nonne. Hochgebildet arbeitete sie als Dozentin und Schriftstellerin. „Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht“, fasste sie ihren philosophischen und spirituellen Weg zusammen. Zum tödlichen Verhängnis wurde ihr das Nazi-Regime. Als geborene Jüdin wurde sie deportiert und 1942 im KZ Birkenau ermordet. Sie muss ihr Ende bereits vorhergesehen haben. Sie betete schon lange für die Rettung beider Völker, die sie in sich trug: Für das jüdische, dem sie entstammte und das deutsche, das ihr das Leben nahm.
Madeleine Delbrel
„Gott ist tot – es lebe der Tod!“ schrieb die Französin Madeleine Delbrel enthusiastisch über einen ihrer Texte. In ihrer Jugend hielt sie Glauben und Gott für gescheitert. Vielleicht durch die tragische Liebesgeschichte zu einem jungen Mann, der sich entschloss, statt sie zu heiraten Novize zu werden, begann sie ihren Atheismus in Frage zu stellen und sich zu wandeln. Sie erwog selbst, Nonne zu werden, entschied sich aber als Sozialpädagogin unter entkirchlichten und von existenzieller Not betroffenen Arbeitern zu leben. Auch als Schriftstellerin war sie tätig. Mit der Sammlung „Gebet in einem weltlichen Leben“ schuf sie eine einzigartige Brücke zwischen mystischer Einkehr mitten in einem dröhnenden, von Spiritualität und Tiefe fernen Alltag.
weiterführende Literatur: Michael Plattig, Kanon der spirituellen Literatur
veröffentlicht im ev. Gemeindeblatt für Württemberg 11/22