
Die stärkste Beziehung, diejenige, die eine Geschichte zusammenhält, ist die Beziehung zwischen Protagonist und Antagonist, zwischen dem Helden und dem Helden des Bösen. Der Antagonist muss keine Person sein, sondern es kann sich auch um eine Macht oder Kraft handeln, z.B. Verlust, Trauer oder Einsamkeit. Im „Nachtzug nach Lissabon“ beispielsweise ist es sein wohltemperiertes, aber sehnsuchtsloses Lebens, das den Helden Raimund Gregorius herausfordert.
Diese Gegenkraft setzt den Helden in Bewegung und deshalb muss sie ebenso stark sein, wie der selbst; eben durch sie entdeckt er jene noch verborgene Kraft, seinen Heldenmut, um dessentwillen die Geschichte ja überhaupt erst erzählt wird.
Manchmal steht der Held am Beginn einer Geschichte (wie in Brokeback Mountain von Annie Proulx), manchmal der Antiheld bzw. die Gegenkraft. Im Grunde entstehen beide nahezu gleichzeitig, weil sie einander bedingen. Diese Bedingung ist keineswegs ein erzählerisches Konzept, sondern ein archaisches Prinzip.
Man findet diesen Dualismus in den Religionen. Selbst ins Juden- und Christentum wurde er eingetragen, obwohl sich beide dezidiert antidualistisch verstehen. Aber wie sollte man von Gott erzählen, wenn es keinen Gegengott gibt, gegen den er antritt?
Als Geschichtenerzähler bringt einen dieses Prinzip in eine theologisch brenzlige Lage: Denn damit die Geschichte gelingt, muss ich an Held und Antiheld in gleicher Weise Anteil nehmen, sie sozusagen beide lieben. Der Leser merkt es sofort, wenn ich einen der Helden benutze, um den einen durch den anderen voranzubringen. Das wäre jedoch keine wirkliche Verbindung, sondern nur ein Mittel zum Zweck und das trägt eine Geschichte so wenig, wie die Prädestination den Glauben trägt.
Jeder der beiden Helden muss also ein Recht haben, sich verändern zu können, sich zu entscheiden, warum er tut, was er tut. Das allerdings macht das Schreiben unvorhersehbar und setzt eine Geschichte der Gefahr aus, dass sie sich zerstreut. Zugleich ist dies auch das Spannende am Entstehen einer Geschichte: Wie wird die Geschichte enden? Wie werden die Helden ankommen? Und schließlich, was wird mit mir, dem Autor sein, wenn ich am Ende der Geschichte den letzten Punkt setze?